Stuttgarter Zeitung berichtet über eine unserer Familien

In der Ausgabe vom 5. April 2022 veröffentlichte die Stuttgarter Zeitung einen Artikel über eine unserer Familien, die wir im Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst begleiten dürfen und die in sehr wertvoller Weise von ihrer Liebe erzählen, die über den Tod hinaus spürbar ist. Danke an Helena, Eberhard Lücke-Bentz und Susanne Mathes für diesen berührenden Artikel und all die Gedanken, die sie hier mit uns teilen. Danke auch der Redaktion der Stuttgarter Zeitung, dass wir diesen Artikel hier veröffentlichen dürfen.


Wie die Liebe den Tod überdauert

Als Cordula Bentz 2019 starb, mussten ihre damals achtjährige Tochter und ihr Mann das Weiterleben lernen. Wie ihnen ihre Liebe dabei half – und heute noch hilft.

Von Susanne Mathes

Seit dem Tag, der alles veränderte, gehen die elfjährige Helena und ihr Vater Eberhard Lücke-Bentz morgens nicht mehr ohne das immer gleiche Ritual auseinander. „Ich schaue aus dem Fenster, Helena dreht sich nochmal um, wir winken uns“, erzählt Lücke-Bentz. Noch einmal eine kleine Rückversicherung des Verbundenseins, bevor jeder in seinen Tag startet. In dem Leben, das sie jetzt zu zweit führen und nicht mehr zu dritt. Fast drei Jahre ist es her, dass die damals achtjährige Helena nach Hause kam, ihre Mama im Sessel liegend fand und dachte, sie schliefe.

Die Gegenwart der verstorbenen Mutter ist überall zu spüren

Cordula Bentz ist nicht mehr bei ihrer Tochter und ihrem Mann. Aber ihre Gegenwart ist in der Ludwigsburger Wohnung der Familie atmosphärisch überall zu spüren: In den farbenfrohen Tapeten, in den geschmackvollen, sparsam dosierten Deko-Accessoires – „sie hatte da ein totales Händchen dafür, im Gegensatz zu mir“, sagt Eberhard Lücke-Bentz. In den Ananasfrüchten, mit denen sie und Helena die Küchenwände bemalt haben – „die hier unten“, zeigt Helena auf eine Ananas in Hüfthöhe, „habe ich gemalt, die Zwischenräume sind nicht so perfekt.“

Und natürlich ist Cordula Bentz in den Fotografien präsent, die gerahmt auf der Eckbank stehen oder an der Fotowand hängen. Cordula, Helena, Eberhard – im Urlaub, auf Ausflügen, nach dem Fallschirm-Tandemsprung. Das Trio: stets eng aneinandergeschmiegt. Die Frau immer strahlend, energiegeladen, funkensprühend. „Sie war ein ganz besonderes Mädel“, sagt ihr Witwer. „Die Liebe meines Lebens.“

„Sie war meine Mama“, sagt Helena, „da hat man immer eine Liebe“

Wie bewahrt die kleine Familie ihre Liebe für die abrupt durch einen Herztod verstorbene 47-Jährige? „Sie war meine Mama. Da hat man immer eine Liebe“, sagt Helena. „Wenn ich an sie denke, dann denke ich an das Schöne, das ich mit ihr erlebt habe. Zum Beispiel, wie wir zusammen an der Ostsee waren. Oder wenn wir eine Radtour machen, denke ich, dass ihr das jetzt auch gefallen würde“, erzählt Helena. „Sie war immer so lustig, wie eine Freundin.“

Die Mama krabbelte mit der Tochter auf dem Fußboden herum – „wie sie überhaupt immer auf Augenhöhe war“, wirft Eberhard Lücke-Bentz ein. „Sie ist mit mir rumgetobt, wir haben zusammen ,Sonderzug nach Pankow‘ gehört und laut mitgesungen und getanzt“, erinnert sich Helena. „Sie ist mir dann gar nicht erwachsen vorgekommen. Sie war manchmal selbst wie ein Kind. Das war das Besondere an ihr.“ Das Temperament und den Schalk ihrer Mutter hat das Mädchen geerbt. Sie liebt die rasantesten Achterbahnen. Sie ist witzig und schlagfertig. Und wie aus dem Gesicht geschnitten ist sie ihrer Mutter auch.

Am ersten Todestag ließen sie einen Ballon mit Post gen Himmel steigen

Helena mag das Andenken an ihre Mama nicht an traurige Gedanken koppeln. „Aber wenn alle Erwachsenen traurig sind, werde ich auch traurig“, sagt sie. Dabei lacht Helena gern. „Sie ist hier, auch wenn du sie nicht sehen kannst“, versicherte sie sich am ersten Weihnachten ohne ihre Mutter, zu dem die Eltern und die Schwester von Cordula gekommen waren, damit die zwei nicht alleine blieben. Am ersten Todestag ließen sie einen Helium-Luftballon mit einem Brief in den Himmel steigen.

„Kinder trauern anders, sie haben einen Schutzengel. Sonst würden sie zugrunde gehen“, sagt Eberhard Lücke-Bentz. Er hat für Cordula eine eigene Schatzkammer in seinem Herzen. „Ich habe sie in meinen Gedanken, sie ist immer da“, sagt er. Weniger gut kommen Helena und er mit Besuchen am Grab zurecht. Sie ist in ihrem Heimatort beerdigt, ihre Eltern kümmern sich um die Grabpflege. Dafür sei er dankbar, sagt der Witwer. „Am Anfang war ich schon überfordert mit der Trauer und den Gedanken, wie es weitergeht und was auf uns zukommt.“ Der Eisenbahner – er ist Teamleiter für Lokführer und Rangierer - , switchte im Arbeitsleben um: Schichtdienste, nächtliche Notdienste oder Einsätze nach Entgleisungen macht er nicht mehr. „Das Bahnsozialwerk hat uns sehr geholfen“, erzählt er, auch zugewandte Nachbarn und Freunde. Und die Gespräche, die Bestärkung und Ermutigung in Trauergruppen.

Zwei Papas kümmern sich jetzt um das Mädchen

Nur sechs gemeinsame Jahre waren dem Paar vergönnt– „meine besten sechs Jahre“, sagt Eberhard Lücke-Bentz. Für beide war es nicht die erste Heirat gewesen. Seine Frau hatte die kleine Tochter mit in die Ehe gebracht. Seit Cordulas Tod liegt die elterliche Sorge bei ihm. „Das war ganz selbstverständlich“, sagt Lücke-Bentz. Zusammen mit Helenas leiblichem Vater, bei dem sie Wochenenden und Ferien verbringt, gibt er dem Mädchen Stabilität und Sicherheit. „Wobei“, meint er und lächelt in Richtung Helena: „Ich könnte gar nicht so eindeutig sagen, wer von uns beiden wem mehr geholfen hat nach Cordulas Tod.“

„Ich habe zwei Väter“, sagt Helena. „Den Ebi und den Papa“. Der Papa ist eine Art bester Freund, er macht Quatsch mit ihr oder unkonventionelle Unternehmungen. Mit „dem Ebi“ ist Helena sehr eng, der Umgang der beiden miteinander hat eine große Vertrautheit und Selbstverständlichkeit. Beim Gespräch stupst sie ihn, wenn sie ihn neckt. Dass es seit einiger Zeit wieder eine Frau in seinem Leben gibt, toleriert die Tochter nicht nur. „Ebi kann doch nicht den Rest seines Lebens allein bleiben, weil meine Mama nicht mehr da ist“, sagt das in vielerlei Hinsicht erstaunliche Mädchen.

„Es war so eine wunderbare, intensive Zeit“

Helena zeigt ihr liebstes Erinnerungsstück an ihre Mama: Eine Kette mit einem peruanischen Tumi-Amulett, die sie sorgfältig aufbewahrt. Mittlerweile wohnt sie im ehemaligen Schlafzimmer der Eltern, es ist das größte Zimmer in der Wohnung – ihr schön eingerichtetes Reich und Refugium. Dort kann sie sich stundenlang ins Zeichnen vertiefen oder in ihre Cosplay-Welt eintauchen.

Eberhard Lücke-Bentz kann inzwischen wieder Handy-Videos mit seiner verstorbenen Frau anschauen, „sogar mit einem Lächeln“, sagt er. „Weil es mit ihr so eine wunderbare, intensive Zeit war. Die kann uns niemand nehmen.“

Weiterleben nach dem Verlust

Der Kontakt

Helena und Eberhard Lücke-Bentz wurden nach dem Tod von Cordula Bentz vom Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst mit Kinder- und Jugendtrauer im Landkreis Ludwigsburg begleitet. Über ihn entstand auch der Kontakt zu Vater und Tochter für diesen Serienteil.

Die Hilfen

Der Ambulante Dienst bietet Familien mit sterbenden oder verstorbenen nahen Angehörigen kostenlos Unterstützung, Entlastung und Begleitung an, vermittelt Fachdienste und ergänzende Hilfen. Zudem unterhält er Trauergruppen für verschiedene Altersstufen. Trägerin ist die Ökumenische Hospizinitiative.